Wenn die Kalligraphie für Dich noch "Neuland" ist, dann hast Du dich vielleicht schon gewundert, wie man solche Buchstaben schreibt, oder ob sie nicht eher gezeichnet, oder mit Spitzfedern nachgearbeitet sind.
Buchstabe V mit Elefantenschnoerkeln

Lassen sich die feinen, geschwungenen Linien mit einer Bandzugfeder schreiben? Das geht, allerdings ist es eine Schreibtechnik, die ich nicht unbedingt am Anfang des Übens steht. Zu Beginn ist es vor allem bei der Bandzugfeder sehr wichtig, den Auflagewinkel der Feder auf dem Papier gut kontrollieren zu können. Je nach Schriftart kann der Winkel unterschiedlich sein, aber er muß dann jeweils gleichmäßig beibehalten werden. Ändert er sich während des Schreibens, dann ergibt sich ein unregelmäßiges Schriftbild.

Wie funktioniert das Aufkanten?

Während die Feder in der Horizontalen bewegt wird, rollst Du gleichzeitig den Federhalter zwischen den Fingern, so daß die Feder langsam auf die Ecke gehoben wird. Die Herausforderung dabei ist, beide Bewegungen, also die horizontale Schreibrichtung als auch das Rollen des Halters zwischen den Fingern miteinander zu koordinieren. Diese Technik kannst Du beim Schreiben mit Bandzugfedern, Plakatfedern, Schnurzugfedern und Federn mit rechteckiger oder quadratischer Schreibplatte anwenden, wobei der Halter sowohl auf die rechte als auch auf die linke Ecke gehoben werden kann. Der Federhalter wird dabei also mit dem Uhrzeigersinn oder auch entgegen dem Uhrzeigersinn gerollt, das hängt von der jeweiligen Schriftart und den gewünschten Effekten ab.

Bei unserem gotischen "V", geschrieben mit der Bandzugfeder, sieht das so aus:

Das Aufkanten der Bandzugfeder

Im zweiten Schritt wird die Feder (ohne den Strich aus Schritt 1 abzusetzen) auf die linke Ecke gehoben. Der Halter wird also gegen den Uhrzeigersinn gerollt und dabei weiter nach links geführt (A). Der obere feine Strich wird anschließend mit der Feder auf der Ecke stehend angefügt (B). Das muß zügig geschehen, solange der Strich noch feucht ist.
Im dritten Schritt wird die Feder bereits auf der linken Ecke stehend in den zuvor gezogenen, noch feuchten Strich aufgesetzt, auf der Ecke nach oben gezogen und dann wieder mit der ganzen Breite aufgesetzt, um den Rest des Buchstaben zu schreiben.
Hört sich aufwendig an, aber nach einer Weile "rollt es sich" fast von selbst ...

Übungen mit der Bandzugfeder

Brause und Co, Bandzugfeder No. 180

Die Feder "normal" auf das Papier aufsetzen und dann den Federhalter beim Ziehen langsam gegen den Uhrzeigersinn rollen, so daß die Feder auf die linke Ecke gehoben wird. Beim senkrechten Strich "A" den Federhalter so rollen. so daß sich der Strich gleichmäßig verjüngt. Beim Strich "B" wird der Federhalter entsprechend schneller gerollt, so daß der Absatz entsteht.

Übungen mit der Bandzugfeder

Mit der Bandzugfeder wirst Du die Bewegungen eher langsam ausführen, deshalb empfehle ich auch, die Technik hiermit zu üben. Mit der Schnurzugfeder lassen sich flottere Schriften schreiben, aber entsprechend müssen die gleichen Bewegungen durchgängig schneller ausgeführt werden, wozu Du bereits eine gewisse Routine darin erlernt haben mußt.

Schwierig? Abgesehen von der Koordination der Bewegungen erschwert möglicherweise die Art und Weise, wie Du den Federhalter in der Hand hältst, die freie Bewegung der Finger. Wenn die Finger zu eng und fest aneinander liegen, ist das Rollen des Halters schwierig. Vielleicht versuchst Du dann, die mangelnde Beweglichkeit durch eine Drehung des Handgelenkes zu kompensieren, aber auf solche Weise ist die Schreibrichtung nur schwer zu kontrollieren, weil Du dabei den ganzen Unterarm mitbewegen mußt.

Idealerweise wird der Federhalter locker zwischen Daumen, Zeige- und Mittelfinger gehalten, der Ringfinger und der Kleine Finger werden zurückgehalten und liegen locker auf dem Tisch, um die Hand zu stützen. Sie sollen aber nicht die Bewegung der anderen Finger einschränken!

Übungen mit der Schnurzugfeder

Heintze und Blanckertz, No. 1146, Redis

Die Feder mit der Schreibplatte auf das Papier aufsetzen und parallel zur horizontalen Bewegung den Halter im Uhrzeigersinn zwischen den Fingern rollen. Man sieht schon an den Formen, daß hier mit mehr Tempo gearbeitet wird.

Übungen mit der Schnurzugfeder

Die Buchstaben sind ebenfalls sehr schnell geschrieben, also mit viel Schwung. Die Strich-Verjüngungen ergeben sich jeweils aus der Drehung der Feder auf die Kante.

Buchstaben mit der Schnurzugfeder geschrieben

Noch ein Tipp für das Schreiben mit der Schnurzugfeder

Die meisten Schnurzugfedern besitzen eine Oberfeder und eine Unterfeder. Beide machen Sinn, wenn Du die üblichen (eher langweiligen) Blockschriften übst, bei denen es darauf ankommt, möglichst gerade Striche und möglichst runde Bögen zu schreiben. Das geht am besten, wenn Du langsam schreibst, und dabei hilft vor allem die Unterfeder, den Tintenfluß zu regulieren, so daß es keine Batzer gibt auf dem Papier und die Striche gleichmäßige Tonwerte erhalten.

Je schneller Du schreibst, um störender wirkt allerdings die Unterfeder, weil die Tinte damit nicht genügend schnell aus der Feder fließen kann. Nimm sie also einfach ab, wenn Du "flotte" Schriften schreibst. Je schneller Du schreibst, umso mehr Tinte muß aus der Feder fließen; Du mußt die Feder also deutlich häufiger in das Tintenfass eintauchen.
Am besten sind Schnurzugfedern in Breiten von 2 bis 3mm für die Technik des Aufkantens geeignet.

So, das war die Theorie ... Als Anregung hier ein Text mit der Schnurzugfeder geschrieben:

Wenn die Zeit kommt ...

Viel Spaß beim Schreiben!

Kleine Info am Rande: "Schnurzugfeder" und "Plattenfeder" sind gängige Bezeichnungen für die Federart. "Redis" und "Ornamentfeder" sind Markennamen, so wie "Tempo" für Papiertaschentuch. Die Marke "Redis", gut bekannt vor allem bei den älteren Menschen, die damit noch in der Schule geschrieben haben, stammt von der Firma Heintze & Blanckertz, die schon lange nicht mehr produziert. Die Marke "Ornamentfeder" gehört zu Brause & Co. Dort werden diese Federn derzeit noch hergestellt.



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