In England, wo sowohl der Verbrauch an natürlichen Schreibfedern als auch das technische Niveau sehr hoch waren, beginnt die industrielle Stahlfeder-Fabrikation. In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden in einem großen Londoner Bankhaus jährlich bis zu sechs Millionen Kiele geschnitten, und nur jede zehnte Feder wurde nach dem Abschreiben wieder neu "gespitzt". Die nur einmal gebrauchten Kiele wurden von Krämern aufgekauft und weiterverkauft.
Etwa 1822, so wird angenommen, fängt John Mitchell an, aus dünnem Stahlblech Federn maschinell auszustanzen.
1830 erhält der Buchhändler James Perry das Patent auf die Anbringung von Löchern oder Einschnitten verschiedener Form am Ende des Schnabels (der gespaltenen Spitze), 1832 auf das seitliche Einschlitzen (an der "Schulter").
1831 ersetzt Joseph Gillott die keilförmige Spitze durch eine elongierte, der Schnabel wird nun durch zwei parallele, gerade Stücke gebildet. Damit hat die Stahlfeder zwar noch nicht die Elastizität der Gänsefeder erreicht, aber sie kann mit ihr konkurrieren.
Weitere technische Verbesserungen, aber auch das billige Briefporto der "penny post" (1840) tragen zur Verbreitung der Stahlfeder bei.
Joseph Gillott's Fabrik in Birmingham stellt allein 1842 über siebzig Millionen, 1843 über hundert Millionen Stück her, Anfang der fünfziger Jahre, als die erste deutsche Stahlfederfabrik gegründet wird, über hundertachtzig Millionen - von den etwa fünfhundert Beschäftigten sind vierhundert Frauen.
Erst die neuere Zeit hat die Stahlfeder hervorgebracht. Ihr Einfluß auf die Umwandlung der Schriftzüge zeigt sich schon seit der kurzen Zeit ihres Gebrauches. Die Eigenthümlichkeiten des Charakters, welche sich noch in der Schrift mit der Gänsefeder ausdrückten, verschwinden mehr und mehr. Die Gänsefeder wurde vom Schreibenden aus dem rohen Kiele zugeschnitten und dem persönlichen Bedürfniß oder der Gewohnheit angepaßt, während die Stahlfeder, ein Millionenerzeugnis der Fabriken, die Hand zwingt, sich ihr anzubequemen. Durch sie sind nicht nur die verschiedenen "Dukten" im großen Ganzen verschwunden, auch die kleinen individuellen Verschiedenheiten schleifen sich ab. Bald wird ein Mensch wie der andere schreiben.
Das neue Buch der Erfindungen, 1872
Da die Schreibfeder, beim Schreiben leicht geführt, eine durchaus gleiche Handschrift erzielt, so kann desshalb der Gebrauch der Stahlfeder jedem Schreibenden mit vollkommener Überzeugung abempfohlen werden. Wer sich beim Schreiben mit Stahlfedern einer dicken, glatten Papier-Unterlage, einer beliebigen, aber flüssigen Tinte und keines allzurauhen Papieres bedient, dabei den Vorderarm über die Hälfte auf dem Tisch auflegt und die Feder mehr sflach liegend zu halten sich angewöhnt, der wird, wenn er auch noch niemals eine Stahlfeder in der Hand gehabt, sich auch schon in der ersten Stunde zu deren immerwährendem Gebrauche entschliessen.
Carl Kuhn & Co, Wien, auf der Rückseite einer Schreibfeder-Schachtel