Artikel aus den bisherigen Rundbriefen:





Kalligraphie-Schreibfedern:
Kleine Kunstwerke und wertvolles Handwerkszeug

Dieser Beitrag ist erschienen im Kalligraphie-Rundbrief Nr. 1 von Februar 2025

Kalligraphie Spitzfeder, Sommerville & Co, No. 299 EF, Schell Fisch Feder

Antike und neue Federn - worin besteht der Unterschied?

Bei genauem Betrachten der Federn, die vor 60, 80 oder 100 Jahren hergestellt wurden, fällt schnell auf, daß sie mit einer beeindruckenden Sorgfalt und Genauigkeit hergestellt wurden. So unterscheidet sich die Qualität der antiken Federn wesentlich von den wenigen Sorten, die heute noch hergestellt werden. Natürlicherweise, kann man sagen, denn früher wurden die kleinen Schreibwerkzeuge täglich von Millionen Menschen verwendet, während heutzutage nur noch vergleichsweise sehr wenige die Kunst des Schönen Schreibens als Hobby pflegen.

In dem Bemühen, die Herstellungskosten zu reduzieren, haben die verbliebenen Schreibfedern-Hersteller im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die ursprünglichen Arbeitsschritte rationalisiert, vereinfacht und teilweise sogar ganz ausgespart. Aber worin genau besteht der Unterschied zwischen antiken und neuen, bzw. guten und weniger guten Schreibfedern? Auf der folgenden Abbildung ist das am Beispiel der No. 170 von Joseph Gillott & Sons gut zu erkennen.

Joseph Gillott & Sons, Vergleich No. 170, alt und neu

Joseph Gillott & Sons, No. 170, Federn aus unterschiedlichen Produktions-Zeiträumen

Die linke Feder wurde schätzungsweise vor ca. 70 bis 90 Jahren hergestellt: Die Schreibspitze ist sehr fein, die Oberseite der Feder ist längs und quer geschliffen, die Stanzung und die seitlichen Einschnitte sind präzise und genau angebracht.

Die mittlere Feder wurde vor ca. 40 bis 60 hergestellt. Der ursprüngliche Schliff wurde durch eingeprägte Quer-Rillen ersetzt, die Verarbeitung ist insgesamt weniger präzise.

Die rechte Feder stammt aus aktueller Produktion (durch William Mitchell, England): Der Schliff ist ganz verschwunden, die Stanzung und die seitlichen Schlitze sind unsauber gearbeitet, und die Schreibspitze ist mehr breit als spitz.
Die Feder aus aktueller Herstellung ist eher "weich" als elastisch, bei etwas zuviel Druck federt sie nicht mehr zurück und wird unbrauchbar. Trotz der breiteren Spitze bleibt sie eher im Papier stecken als das antike Vorgängermodell. Nur der "Gute Name" ist noch übrig ...

Ein weiterer Faktor für die Veränderung der Qualität ist, daß die Metalle, die bis vor einigen Jahrzehnten noch speziell für die Herstellung von Schreibfedern produziert wurden, nicht mehr zur Verfügung stehen. Die damals verwendeten Legierungen sind entweder in Vergessenheit geraten oder nicht mehr rentabel herzustellen. Ähnliche Situationen haben sich auch in anderen Produktbereichen ergeben, zum Beispiel bei der Marmorierung von Federhaltern. Auch hier gab es speziell für diese Anwendung hergestellte Lacke, die heute nicht mehr verfügbar sind, so daß die Hersteller mit Lacken arbeiten müssen, die eigentlich für andere Zwecke optimiert sind. Daß sich das auf die Qualität der Produkte auswirkt, ist nachvollziehbar.

 

Warum wurden die Schreibfeder-Spitzen geschlifffen?

Die Bedeutung des Schleifens der Schreibspitze wird in einem Beitrag in der Zeitschrift "Die Gartenlaube" von 1875 folgendermaßen beschrieben:

Das Schleifen der ... Feder auf ihrer convexen Seite hat denselben Zweck, den das Abschaben der Kielfeder auf der Rückseite des Schnabels oberhalb der Spitze hatte, ein gewisser Theil des Metalls wird etwas dünner und biegsamer gemacht, und die Spitze, in welche der Spalt kommen soll, wird dadurch elastisch und zart. Der Längenschliff reicht von der Spitze nach aufwärts bis in die Nähe des Loches, während der Querschliff die Spitze nicht mit berühren darf.“

Im „Online-Schreibfeder-Museum“ wird der ursprüngliche Herstellungsprozess der Schreibfeder detailliert beschrieben.

 

Die Schreibfeder als Zeitzeuge

Bis vor einigen Jahrenzehnten gab es in Europa und den USA dutzende großer Hersteller von Schreibfedern. Führend in der Herstellung qualitativ hochwertiger Federn waren vor allem England, Deutschland, Frankreich, Österreich und die USA. Um der Konkurrenz auf diesem großen Markt zu begegnen, haben ganze Generationen von Produzenten Ihren Einfallsreichtum und ihr handwerkliches Können eingebracht. Einige andere Länder spezialisierten sich auf die Nachahmung beliebter Feder-Modelle, meist jedoch in schlechterer Qualität.

Die herausragende Bedeutung der Schreibfeder in früheren Zeiten spiegelt sich nicht nur in ihrer handwerklichen Qualität, auch die künstlerisch hochwertige und durchaus aufwendige Gestaltung von Verpackungen und Werbemitteln zeugt von dem hohen Stellenwert dieses einstigen Millionen-Erzeugnisses.

T. Hessin & Co, Werbebeilage

Eine Probefeder, wie sie oft dem Inhalt von Schreibfederschachteln hinzugefügt wurden.

 

Über die reine Funktion des Schreibens hinaus dienten die Schreibfedern oftmals der Darstellung wichtiger Berufsbilder, aktueller und historischer Ereignisse, Modeerscheinungen und der Ehrung herausragender Persönlichkeiten:

Beamtenfeder, Büro-Feder, Post-Feder, Steno-Feder, Kronen-Feder, Ballon-Feder, Federn des Typs Alfred, Henry und Humbold sind schöne Beispiele.

Heintze & Blanckertz, No. 168, 18. April 1864
Heintze & Blanckertz, Berlin, No. 168 EF (mit Abbildung einer Kanone und dem Datum "18. Apr. 1864", anlässlich der Erstürmung der Düppeler Schanzen in Dänemark)

Blanzy Poure & Ci, No. 1278 EF, Plume ZIG ZAG
Blanzy Poure & Cie, No. 1222 F, Plume Cigogne (Storchenfeder)

Carl Kuhn & Co, Wien, No. 410 S
Carl Kuhn & Co, Wien, No. 410

Geo W. Hughes, No. 9, Sphynx Pen
Geo. W. Hughes, No. 9, Sphynx Pen

Blanzy Poure & Cie, No. 151, Plume Monitor

Blanzy Poure & Cie (Frankreich), No. 151, "Plume Monitor"

Joseph Gillott, No. 1, Principality

Joseph Gillott & Sons (England), No. 1, "Principality"

 

Blanzy Poure & Cie, Schreibfederschachtel No. 2500

Compagnie Francaise, Militärische Ereignisse waren beliebte Motive auf französischen Schreibfeder-Schachteln.

Während die Stahlfeder in früheren Zeiten fast ausschließlich dem alltäglichen Schreiben diente, wird sie heute hauptsächlich für die künstlerische Arbeit verwendet. Obwohl in den letzten Jahren viele "moderne" Schreibgeräte die kreativen Möglichkeiten erweitert haben, hat die gute, alte Schreibfeder noch lange nicht ausgedient. Mit der Bandzugfeder und der elastischen Spitzfeder erwirbt sich die Schreiberin und der Schreiber grundlegende handwerkliche Fähigkeiten.

Auch wenn die Handschrift in unserer Zeit an Bedeutung verliert, wird die Kalligraphie als Handwerkskunst sicherlich so bald nicht aussterben. Wer sich aber noch einen Eindruck von der Qualität einstiger Handwerkszeuge verschaffen möchte, dem bleibt leider nicht mehr viel Zeit. In einigen Jahren wird man vermutlich die verbliebenen Exemplare des 19. und 20. Jahrhunderts nur noch in Museen bewundern, aber nicht mehr in die Hand nehmen können.

Im „Online-Schreibfeder-Museum“ beschreibe ich die Geschichte und die Herstellung der Stahl-Schreibfedern. Eine Liste mit weit über 100 verschiedenen Herstellern von Schreibfedern aus vielen Ländern der Welt zeigt die ganze Vielfalt dieser kleinen Schreibwerkzeuge der letzten 180 Jahre.